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BAO-Praxis - Wiederaufnahme des Verfahrens
Die Bedeutung der BAO im Alltag
Ein alltäglicher in Bescheidbegründungen gelesener Satz lautet: "Im Rahmen der Gesamtabwägung war der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor der Rechtssicherheit einzuräumen". Wenngleich es natürlich bereits als positiv festgehalten werden kann, überhaupt eine (notwendige) Begründung zu entdecken, so erfüllt uns der erwähnte Satz letztendlich meistens (doch) nicht mit voller Freude. Warum dies so ist, worauf man bei den zugrunde liegenden Fällen achten sollte und wie man am besten doch noch zur eigenen Freude bzw jener des Mandanten das Blatt wendet sei in Folge kurz erörtert.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund neu hervorgekommener Tatsachen und/oder Beweismittel
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist aufgrund dreier Tatbestände möglich: dem Erschleichungstatbestand (lit a), dem Neuerungstatbestand (lit b) und dem Vorfragentatbestand (lit c). Der Neuerungstatbestand gem (§ 303 Abs 4 iVm) § 303 Abs 1 lit b BAO kommt hievon sicherlich am häufigsten zur Anwendung. Bevor sich nun den einzelnen Tatbestandselementen gewidmet werden kann, sei noch festgehalten, dass eine Wiederaufnahme auf Antrag (§ 303 Abs 1 BAO) - sodann in gebundener Verwaltung - oder aber von Amts wegen (§ 303 Abs 4 BAO) - diesfalls als Ermessensentscheidung - durchgeführt werden kann.
"Neu hervorgekommen"
Ein Parteienantrag auf Wiederaufnahme ist nur dann erfolgsversprechend, wenn die neuen Tatsachen "ohne grobes Verschulden" der Partei im abgeschlossen Verfahren nicht geltend gemacht wurden. Hingegen genügt für eine amtswegige Wiederaufnahme der objektive Umstand, dass die entsprechenden Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht wurden. Eine subjektive Komponente, warum dies (nicht) geschah, spielt diesfalls indessen keine Rolle. Insbesondere im Zusammenhang mit Außenprüfungen gem § 147 BAO, welche - wenn aus Sicht der Finanz positiv - regelmäßig eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nach sich ziehen, wird die Frage des "Neu Hervorkommens" von Tatsachen den Kern der anschließenden Diskussion mit dem Betriebsprüfer darstellen, samt dem beharrlichen Hinweis des Prüfers, dass es bei der Finanz nicht darauf ankomme, warum die nun "entdeckten" Tatsachen nicht schon früher berücksichtigt wurden.
Durch eine Wiederaufnahme des Verfahrens soll die Möglichkeit geschaffen werden, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen, nicht aber, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung offen gelegter Sachverhalte zu beseitigen (zB VwGH 13.09.1988, 87/14/159).
In diesem Zusammenhang ist auch die Feststellung des VwGH zu sehen, dass die amtswegige Ermittlungspflicht nicht erst im Rahmen einer abgabenbehördlichen Überprüfung zum Tragen kommt. Vielmehr wird durch die §§ 161 ff BAO - unter der Überschrift "Prüfung der Abgabenerklärungen" und explizitem Verweis auf § 115 BAO - zweifelsfrei angeordnet, dass die Abgabenbehörde eben bereits die Abgabenerklärungen zu prüfen und, soweit nötig, durch schriftliche Aufforderung zu veranlassen hat, dass die Abgabepflichtigen unvollständige Angaben ergänzen bzw Zweifel beseitigen. Wenn die Abgabenbehörde Bedenken gegen die Richtigkeit der Abgabenerklärung hegt, hat sie die Ermittlungen vorzunehmen, die sie zur Erforschung des Sachverhalts für nötig hält (zB VwGH 17.09.1999, 93/13/0059).
Es kommt nach ständiger VwGH-Judikatur somit einzig darauf an, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumption zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. War dies der Fall, so sind - unabhängig von einer Verschuldensfrage - die Tatsachen nicht als "neu hervorgekommen" iSd § 303 Abs 1 lit b BAO zu qualifizieren, weshalb auch eine rechtmäßige Wiederaufnahme von Amts wegen nicht erfolgen kann.
Man ist also gut beraten, dem Finanzamt in Steuererklärungen, Jahresabschlüssen, Beilagen etc möglichst umfassend die zugrunde liegenden Überlegungen, Qualifikationen uä offen zu legen und somit bereits im Veranlagungsstadium die Abgabenbehörden bestmöglichst und proaktiv zu servicieren. Dies ist die einzige Möglichkeit, die "Chance" einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens möglichst gering zu halten.
Ein Nachweis der vollständigen Offenlegung im Rechtsmittelverfahren samt der kritischen Überprüfung der Begründung des Wiederaufnahmebescheides insbesondere hinsichtlich der Ermessenserwägungen, vermag hier oft "Wunder" zu wirken. Wenn auch uU nicht sogleich in erster Instanz (per BVE) so regelmäßig doch in zweiter Instanz vor dem UFS. Auch von dieser Rechtsprechungsinstanz existieren mittlerweile unterstützende Argumentationshilfen in Form von bereits ergangenen UFS-Entscheidungen.
Zusammenfassung
Wenngleich es nicht auf ein etwaiges Verschulden der Behörde betreffend die Frage, warum bestimmte Tatsachen im abgeschlossenen Verfahren nicht berücksichtigt wurden, ankommt, so bedeutet dies nicht, dass der Abgabepflichtige zu jeder Zeit mit einer amtswegigen Wiederaufnahme gem § 303 Abs 4 iVm § 303 Abs 1 lit b BAO konfrontiert werden kann. Bei vollständiger Offenlegung aller entscheidungsrelevanten Umstände bereits im Veranlagungsstadium wird aufgrund dessen regelmäßig nicht von einem Vorliegen "neu hervorgekommener Tatsachen" auszugehen sein und somit eine etwaige Verfügung einer Wiederaufnahme erfolgsversprechend bekämpft werden können.
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